Brauchen wir noch Vertrauen?
Ich wage zu behaupten, Vertrauen ist das Fundament zwischenmenschlicher Beziehungen. Das gilt nicht nur privat, sondern auch im Berufsleben. Oder können Sie sich eine gute Zusammenarbeit vorstellen mit jemand, dem Sie nicht vertrauen? Oder dem Sie nichts zutrauen?
Vor allem in turbulenten Zeiten ist Vertrauen ein ganz wesentlicher Faktor. Wenn sich ständig alles ändert, das Geld knapper wird, der Wettbewerb heftiger, leidet oft das Vertrauen. Menschen wollen mehr Kontrolle, sehnen sich nach Sicherheit.
Was hat es also mit dem Vertrauen genauer auf sich? Brauchen wir es wirklich oder ist es mittlerweile naiv, zu vertrauen? Hier ein Denkanstoß.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? – Der Fall Arnold.
Arnold war jahrelang in einer Supportfunktion. Endlich wurde er für eine Führungsposition ausgewählt. Arnold ist sehr stolz auf das in ihn gesetzte Vertrauen und möchte alles richtig machen. Er versucht, sich ein gutes Team aufzubauen, teilweise mit Mitarbeiter*innen, mit denen er bereits als Kolleg*innen gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht hat. Die er kennt, denen er vertraut. Schon ab dem ersten Projekt, das unter seiner Leitung abgewickelt wird, weiß Arnold: er wird sich keine Fehler erlauben. Darum verlangt er von seinen Mitarbeiter*innen minutiös ausgearbeitete Tätigkeitsberichte – er muss ja wissen, was sie genau zu tun haben, um ihnen sagen zu können, wie sie es (besser) machen sollen. Täglich sollen ihm die jeweiligen Aufgabenlisten vorgelegt werden, damit er für jedes Teammitglied detailliert die Prioritäten für jede geplante Aufgabe setzen kann. Arnold weiß, niemand außer ihm hat den Überblick und kann eine Entscheidung treffen. Weil alle Aufgaben wichtig sind, darf auch keine zurückgestuft werden. Mit der Zeit bemerkt Arnold, dass sich die Kommunikation in seinem anfangs hochmotivierten Team ändert. Wo zuvor noch Ideen sprudelten, es einen regen und fröhlichen Austausch gab und man sich gern gegenseitig half , war jede*r nur noch kurz angebunden und auf die eigenen Aufgaben konzentriert. Nach und nach verlor Arnold seine besten Mitarbeiter*innen. Die Beziehung zu ihnen hatte er jedoch schon lange davor verloren. Es gab kein Vertrauen mehr.
Beziehung braucht Vertrauen.
Auch Führung ist eine Art von Beziehung, eine soziale Interaktion. Und sie ist noch dazu sehr komplex. Schon der Soziologe Niklas Luhmann meinte, Vertrauen ist ein „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität„. Es ist – einfach ausgedrückt – viel zu aufwendig, sich allein auf das eigene Wissen und Kontrolle verlassen zu wollen, statt zu vertrauen. Arnold, in unserem Beispiel, hätte sich sein Leben viel einfacher machen können, wenn er mehr auf die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter*innen (die er ja genau wegen ihrer individuellen Stärken rekrutiert hatte) vertraut hätte. Die komplexen Bedingungen unserer Arbeitswelt, der hohe Grad an Spezialisierung, der uns umgibt, erfordert Kooperationen. Keine*r kann mehr vollständig autark agieren. Wir brauchen einander. Und Kooperationen funktionieren nun mal einfacher durch Vertrauen. Vertrauen ist für die Wertschöpfung eines jeden Unternehmens mittlerweile ein unerlässlicher Produktivitätsfaktor.
Vertrauen ist ein Wert.
In unserer Studie über neues Leben und Arbeiten, haben wir Menschen unter anderem nach ihren Werten gefragt. Welche Werte derzeit in Gesellschaft und Wirtschaft am wichtigsten wären und welche für jede*n einzelne*n individuell wichtig sind. Interessanterweise unterschieden sich die beiden Wertelandkarten stark voneinander. Werte, die für Wirtschaft und Gesellschaft als wichtig genannt wurden, verloren auf persönlicher Seite. Dennoch gab es zwei Werte, die auf beide Fragestellungen hin gleichsam in großer Anzahl genannt wurden. Sie werden es schon vermuten, es ist Vertrauen und Ehrlichkeit.
Alles beginnt mit Selbstvertrauen.
„Nur ein Mensch, der Selbstvertrauen hat, kann das Vertrauen anderer erwerben.“ (Vera F. Birkenbihl)
Um anderen vertrauen zu können, muss man erst auch sich selbst vertrauen. Wie geht es Ihnen damit? Wissen Sie, wozu Sie fähig sind? Wie gut kennen Sie Ihre eigenen Ressourcen? Wie viele Erfahrungen haben Sie sich schon erlaubt, die Ihr Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten stärken? Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ganz bewusst keine Liste mit 43 Tipps vorstellen, wie Sie Ihr Selbstvertrauen stärken können. Die gibt es schon sehr zahlreich im Netz und ich vertraue Ihnen, dass Sie diese auch ganz allein sehr gut finden können.
Selbstvertrauen ist schließlich eine Entscheidung. Und diese Entscheidung liegt in Ihrer Hand. Cool, nicht?
Denn entscheiden Sie sich Dinge zu tun, die Sie fordern (dazu braucht es ein bisschen Vertrauensvorschuss), dann sammeln Sie dabei Erfahrungen, die wiederum Ihr Vertrauen in Sie selbst stärken. Ein guter Coach kann Ihnen hier sehr gut behilflich sein, sich bei diesem Prozess nicht selbst auszutricksen und am Ball zu bleiben.
Formel für erfolgreiche Kundenbeziehung.
In einem gesättigten Markt stellt Vertrauen eine wichtige Komponente dar, den Überblick zu bewahren und Komplexität zu reduzieren. Vertraut ein Kunde einer Marke, wird so auch die Entscheidung für das Produkt leichter fallen. Wer also bereits das Vertrauen seiner Kund*innen genießt, hat im derzeitigen Wettbewerb unschätzbare Vorteile. Dabei spielen positive Erfahrungen eine große Rolle. Ebenso erwarten sich Kund*innen immer mehr auch Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz.
Auf der anderen Seite – wer einmal das Vertrauen seiner Kund*innen enttäuscht hat – wird sich sehr schwer tun, dieses wiederzugewinnen. Dabei besteht auch noch zusätzlich die Gefahr eines Reputationsverlustes, falls dieser Vorfall weiter bekannt wird.
Ist es heutzutage naiv, anderen zu vertrauen?
Wenn Sie anderen nicht vertrauen können, werden Sie vielleicht auch selbst erleben, dass man Ihnen weniger Vertrauen schenkt. Ebenso gilt das auch umgekehrt: Menschen, die selbst nicht vertrauenswürdig sind, fällt es selbst schwer anderen zu vertrauen. Schließlich neigen Menschen dazu ihr eigenes Verhalten gern auf andere zu projizieren.
Schon allein aus diesem Grund rate ich jedem erst mal zu einem Vertrauensvorschuss. Natürlich kann man dann auch schon mal enttäuscht werden. Dennoch werden Sie damit bestimmt bessere Ergebnisse erzielen als mit einer Grundhaltung des Misstrauens. Ein Vertrauensvorschuss mit einer guten Portion Achtsamkeit bewahrt sie davor in die Naivitätsfalle zu rutschen. Denn es geht bei all dem Vertrauen gewiss nicht um „Blindes Vertrauen“.
„Tit for Tat“ oder „wie du mir, so ich dir“?
Eine gute Antwort dazu liefert die Spieltheorie mit der erprobten Strategie „Tit for Tat“. Dabei wird ganz einfach Zug um Zug mit Vertrauensvorschuss gearbeitet, das Ergebnis des Partners abgewartet und danach entsprechend reagiert. Das heißt, eine unerfreuliche Reaktion des Gegenübers bleibt nicht unbestraft. So weit so gut. Doch ganz wesentlich ist hier der nächste Schritt: Man bleibt in jedem Fall nachsichtig und beginnt die nächste Zusammenarbeit wieder mit einer positiven Grundhaltung. Diese Strategie, abgeleitet aus dem Gefangenendilemma, zeigt nachweislich die besten Ergebnisse für wiederholte Kooperationen. Alles basiert auf diesen einfachen Regeln: 1. Vertrauensvorschuss – 2. Reagieren wie die andere Seite– 3. Vergeben & Vergessen und daher den nächsten Schritt wieder mit einer Portion Vertrauensvorschuss starten.
Ich habe diesen Beitrag mit der Frage begonnen: Brauchen wir noch Vertrauen?
Nun frage ich Sie: Wie beantworten Sie diese Frage für sich?
Mit diesem Beitrag folgte ich der Einladung der Manufaktur für Wachstum zu ihrer Blogparade Fortschritt in Beziehungen (#FortschrittBeziehung), die sich dem Thema Beziehung im unternehmerischen Alltag widmet.