Unsere Arbeitsprozesse sind darauf optimiert, unsere Produktivität zu maximieren. Haben Sie schon einmal versucht in einer reifen Organisation durch weitere Prozessoptimierungen noch ein paar Prozentpunkte aus der Organisation herauszuquetschen? Millionen werden in Berater investiert, um sicher sein zu können, dass jedes Potenzial genutzt ist.
Und dann gibt es immer wieder einzelne Personen die mit geringsten Aufwänden die Produktivität um mehr als 20% ändern – hoffentlich in die gewünschte Richtung.
Was ich heute erzähle, ist eine Zusammenfassung von vielen persönlichen Beobachtungen und Eindrücken der letzten 20 Jahre im Umfeld von hoch ausgebildeten Wissensarbeitern; die meisten sind Diplomingenieure oder Doktoren der technischen Wissenschaften. Diese Menschen kann man weder durch Anpeitschen, noch durch höhere Gehälter zu mehr Produktivität bringen. Auch sind die kreativen Arbeiten für klassische Prozessoptimierungen schwer zugänglich.
Das Wundermittel heißt Motivation.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Heiss:
Michael Heiss studierte Elektrotechnik an der TU-Wien, wo er 1989 promovierte, sich nach einem Post-Doc am MIT 1995 habilitierte und seit 2015 Honorarprofessor für Innovation ist. Seine Industrietätigkeit startete er 1986 bei Bosch und ist seit 1996 bei Siemens in unterschiedlichen leitenden Technologie-, Innovations- und Wissensmanagement Funktionen tätig.
Motivation ist der wichtigste Produktivitäts-Treiber
Motivation ist eine schwer messbare Größe. Deshalb gibt es kaum Lehrbücher, in denen man einen genauen Zusammenhang zwischen Motivation und Produktivität findet. Bild 1 ist deshalb auch nicht als die reine Wahrheit zu verstehen, sondern als persönliche Beobachtung und Basis für eine Diskussion. Die genaue Ausprägung ist natürlich bei jedem Menschen anders.
Gehen wir davon aus, dass die reife Mitarbeiterin Teresa, die so motiviert ist, wie man es sich von einer Mitarbeiterin wünscht, einen Motivationsfaktor 1 hat. Bei dieser Motivationslage definieren wir den Produktivitätsfaktor als 1 (siehe Bild 1).
Bild 1: Durch Demotivation der Mitarbeiter können schnell 20% oder gar 40% der Produktivität verloren gehen.
Zuviel Motivation kann gesundheitsgefährdend sein
Steigt die Motivation von Teresa über das Maß, das man von einem Mitarbeiter erwarten kann, steigt meist auch die Produktivität bis sie dann in einen gesundheitsgefährdenden Bereich kommt und das Risiko besteht, dass Teresa ihre eigenen Kräfte überschätzt hat (Bild 1 ganz rechts). Aber auch wenn die Führungskraft ihre arbeitsrechtliche Sorgfaltspflicht wahrnimmt, kann durch eine besonders motivierte Teresa mehr Produktivitätssteigerung erwirtschaftet werden als durch jede erneute Prozessverbesserung.
Verlust durch Frust
Noch viel signifikanter sieht es jedoch bei Verringerung der Motivation aus. Eine reife Mitarbeiterin wie Teresa wird hier eine Toleranzbreite haben. Teresa wird also nicht wegen jeder kleinen Demotivation in ihrer Produktivität signifikant absinken. Wenn es die Organisation allerdings zu weit treibt, gibt es wohl bei jedem Menschen eine Grenze, die besser nicht überschritten werden sollte: sinkt beispielsweise die Motivation von Teresa unter 80%, dann sinkt die Produktivität signifikant um 20% (auf 0,8 in Bild 1). Viele nennen diesen Produktivitätslevel dann Dienst nach Vorschrift. Die Höhe dieser Produktivitätsverlust-Stufe wird auch von Mensch zu Mensch verschieden sein. Bei einer reifen Mitarbeiterin wie Teresa ist dieser Produktivitätsverlust reversibel. Allerdings muss einiges an Motivation wieder gut gemacht werden um wieder annähernd auf den vollen Produktivitätslevel zurückzukehren (siehe Pfeile für die Hysterese in Bild 1). Da gilt dann das Umgekehrte zu vorher: die Verletzungen sind zu groß, als dass nur wegen einer kleinen Motivationsverbesserung der Produktivitätsverlust wieder vorbei ist.
Wird die Motivation noch weiter reduziert, läuft die Organisation in Gefahr Teresa wirklich zu verlieren. Bei Teresa liegt die Grenze bei 60% Motivation (siehe Bild 1 bei 0,6). Der Produktivitätsverlust ist nun schon 40%. Dieser Produktivitätslevel wird meist Innere Kündigung genannt. Über noch mehr Motivationsverlust möchte ich gar nicht reden. Da kann es ja so weit kommen, dass die Produktivität je nach Charakter sogar negativ wird (Destruktion).
Da versuchen Berater mühsam durch verbesserte Arbeitsprozesse die Produktivität um 2% zu steigern und gleichzeitig werden unbewusst bei vielen Mitarbeitern 20% oder 40% an Produktivität verschenkt.
Wie funktioniert die Motivation von Wissensarbeitern?
Bild 2: Eine offene Gesprächskultur und eine Vertrauenskultur sind die wichtigsten Motivationstreiber von Wissensarbeitern
Nach McClelland von der Harvard University gibt es drei Motive, die die Motivation besonders stark beeinflussen: Zugehörigkeit, Macht und Leistung.
Ich kenne viele Menschen, die jedoch ganz anders funktionieren. Der neuen Generation von hoch ausgebildeten Wissensarbeitern sind meist die folgenden drei Dinge besonders wichtig (siehe auch Bild 2):
1) Ziel macht Sinn: „Ist das Endziel wert, dass ich mich dafür einsetze?“
Wenn ich verstehe, dass das Projekt, für das ich arbeite, der Firma und der Menschheit hilft, ist das motivierend. Dann hat der Einsatz meiner Lebensenergie Sinn. Merke ich hingegen, dass jemand in der Abteilung nur seinen eigenen Vorteil optimiert und nicht im Interesse des höheren Ziels agiert, ist das demotivierend.
2) Mein Beitrag macht Sinn: „Kann ich selbst den Erfolg beeinflussen?“
Wenn ich die Fähigkeiten habe, die ich für den Job benötige, und wenn ich selbst den Erfolg des Projektes mit beeinflussen kann, ist das motivierend. Wie viel offizielles Lob ich dann für den Erfolg bekomme, ist mir gar nicht so wichtig, wenn ich selbst weiß, dass ich einen Anteil am Erfolg habe, dass ich eigene Ideen einbringen und selbst gestalten kann. Wenn ich hingegen ausschließlich Pseudo-Beschäftigungen machen soll, die keinen Beitrag zum Erfolg liefern, ist das demotivierend. Warum soll ich meine Lebensenergie für etwas einsetzen, was keinen Sinn stiftet?
Burn-out-Experten wissen, dass viel Arbeit nicht die Ursache von Burn-out ist. Burn-out gefährdet ist man erst dann, wenn man keinen Sinn in der Arbeit sieht und das Gefühl hat, es selbst nicht ändern zu können.
3) Vertrauen: „Kann ich ich selbst sein?“
In einer Vertrauenskultur zu arbeiten, die von Fairness, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit, gegenseitiger Wertschätzung und einer offenen Fehlerkultur geprägt ist, ist motivierend. Kein Mensch ist perfekt, jeder macht auch Fehler, aber nahezu alle Mitarbeiter in einem Unternehmen haben von sich selbst aus das ehrliche Interesse zum Erfolg des Unternehmens beizutragen und tun es auch so gut sie können. Werde ich hingegen bestraft, wenn ich meine Meinung vertrete, werden Fehler vertuscht oder zu spät zu kommuniziert, oder wird gar vom Management Unehrlichkeit vorgelebt, dann ist das demotivierend. Demotivierend ist es auch, wenn Vertrauen missverstanden wird, in dem man mir einen kaum zu erfüllenden Auftrag gibt, mir auf die Schulter klopft und dazu sagt „Du schaffst das schon“.
Wer oft in Projekten arbeitet, an denen mehrere Länder beteiligt sind, weiß wie extrem in so einem Fall die Produktivität von der Vertrauenskultur beeinflusst wird. Gerade wenn ich meinen Projektpartnern nur selten persönlich begegne, kann so leicht durch eine ungeschickte Mail eine Irritation ausgelöst werden. In einer Vertrauenskultur weiß ich, dass die Mail nicht böse gemeint war oder kann ein kurzes Telefonat Missverständnisse aus dem Weg räumen. Wenn das Misstrauen dominiert, kann es leicht passieren, dass die Mail als weiteres Indiz für Missachtung interpretiert wird und die Motivation zurück geht. Schlimm wird es dann, wenn in der Folge die Kommunikation auf ein Minimum reduziert wird und nicht einmal bei zweifelhaften Arbeitsaufträgen rückgefragt wird, ob es so gemeint ist, wie ich es verstanden habe. Nichts reduziert die Produktivität so sehr als wenn ich auf Grund von Missverständnissen das Falsche mache und das Missverständnis womöglich erst Wochen oder gar Monate später festgestellt wird. Da kann der Produktivitätsverlust sogar 100% sein.
Die drei genannten Motivations-Komponenten[1] sind vielen Menschen wichtig und beeinflussen die Produktivität stark. Die ersten zwei (Ziel macht Sinn; mein Beitrag macht Sinn) sind in einer halbwegs gut organisierten Firma hoffentlich für die meisten Mitarbeiter/innen gegeben. Die Komponente mit dem größten Hebel ist daher die Vertrauenskultur.
Der wichtigste Treiber für alle drei Komponenten ist die Offenheit:
Offenheit: „Darf ich meine Überzeugung aussprechen?“
Innerhalb der Abteilung muss ich die Möglichkeit haben, offen zu sprechen. Alles darf ich sagen, solange es respektvoll und konstruktiv ist und nach besten Wissen und Gewissen der Sache dient. Es gibt hier kein Information Hiding. Es ist selbstverständlich, dass ich Information an andere Kollegen/innen weitergebe, wenn es für diese wichtig ist. Wir wissen, dass wir alle Fehler machen, deswegen dürfen wir auch offen darüber sprechen. Wir wissen wie wichtig es ist, dass Fehler so früh wie möglich entdeckt werden. Fehler sind dazu da daraus zu lernen. Falls ich einmal etwas unangemessen kommuniziert haben sollte, kann ich darauf vertrauen, dass meine Kollegen oder mein Chef mich darauf aufmerksam machen, wie das bei anderen angekommen ist, damit ich daraus lernen kann.
Ohne Offenheit gibt es kein Vertrauen. Ohne Offenheit kann ich kaum verstehen, ob das Ziel Sinn macht. Ohne Offenheit kann ich nur beschränkt beurteilen, ob mein Beitrag Sinn gestiftet hat.
Werte wie Offenheit und Vertrauen lassen sich im Gegensatz zu den Geschäftszahlen schwer in Euro messen. Dieser Blog-Beitrag hatte zum Ziel, die Monetarisierung von Offenheit und Vertrauen über die Mitarbeitermotivation und Produktivität aufzuzeigen. Mir ist keine anderer Methode bekannt, wie man so schnell 20% Produktivität der Wissensarbeiter verlieren oder gewinnen kann.
[1] Nach McClelland könnten „Vertrauen“ zu „Zugehörigkeit“, „Mein Beitrag macht Sinn“ zu „Macht“ (im Sinne von: ich habe die Macht das Ergebnis zu formen) und „Ziel macht Sinn“ zu „Leistung“ zugeordnet werden.